Grafschaft Glatz > Humor und Mundart

Die Mundart der Grafschaft Glatz (Schlesien)

Die Sprache eines Volkes, eines Volksstammes, ist das wesentlichste Merkmal seines Volkstums. In ihr zeigen sich Herkunft, Wesen und Eigenart noch deutlicher als in seinen Sitten und Bräuchen, zeigt sich die Seele des Volkes.
Die Mundart der Menschen der Grafschaft Glatz ist eigenständig. Sie unterscheidet sich wesentlich von den Mundarten der übrigen schlesischen Stämme. In ihr zeigt sich das Grafschafter Volk, denn zwischen Mundart, Volksgeist und Volkstum bestehen wesentliche Verbindungen.

Alois Bartsch, 1979

 

An dieser Stelle wurde von November 1999 bis September 2009 das „Gedicht des Monats“ veröffentlicht. Die bisher an dieser Stelle als „Gedicht des Monats“ veröffentlichten Verse von Erhard Gertler u.a. können Sie im
Archiv der Gedichte
lesen.

 

 

Schlesische Gedichte
in Mundart und Hochdeutsch

 

Der Kerschboom blüht!

De Gußemoad kimmt früh zur Haustüre raus
Und reibt de verschlofenen Ogen sich aus.
De blecherne Milchkonne hoot se ei Händen
Und wiel ei a Kühstoal zum Malken sich wenden.
Uff eemol do schreit se: „Herr Jesses! die Pracht!
A Wunder ihs heute geschahn übernacht!
Wies duftig und frisch dorch a Hof rüberzieht!
Der Kerschboom blüht! Der Kerschboom blüht!“

Derfrischt und gestärkt dorch enn kernfesten Schlof,
Gieht o schun der Pauer durt über a Hof:
„Nu satt ock a Kerschboom! No gestern ganz öde,
und heut stieht a do ei emm schluhweißen Kleede!
Nu is’s oaber Zeit, doß ma Summerkurn seet,
Und doß ma die letzten Katuffeln vulls leet,
Und doß ma mit Macht itz oans Mistfoahrn gieht!
Der Kerschboom blüht! Der Kerschboom blüht!“

Eim Ufen do knisterts und die Feueresse roocht,
Weil äbenst de Fraue a Murgenkoffee kocht,
Und wie se ei der Joad durchs Fanster tutt gucken:
„Nee, satt bluß die Blüten, die schnieweißen, schmucken!
Na, Goot sei’s gedankt, daß is Frühjuhr fängt oan,
Nu werd doch is Viech bale Grünfutter hoan!
Die Freede, wenn vuIl dann der Milchkaller stieht!
Der Kerschboom blüht! Der Kerschboom blüht!“

Der Friedel derwacht und a jommert und kloat,
Ihm troomte, doß a wieder keene Schularbeit hoot.
Uff eemol: „Woas ihs denn durt vürgegangen?
War hot denn uff a Kerschboom die Blumen gehangen?
Heidi! Nu is’s Summer! Heidi! Nu is’s schien!
Geld, Mutter, nu koan ich doch borfüssig giehn:
De Stiefeln, die gib ock ’m Lumpenmonne miet!
Der Kerschboom blüht! Der Kerschboom blüht!“

Der Franze ging obenbs, wie olles schun schluf,
Zur Rusel und pischbert: „Mach’s Fansterle uf,
Denn siehch, itze tu ich woas Gutts Dir vermelden:
Vu heute oan konnst De Dich nich meh verkälden!
Ei Blüten uff’m Kerschboome singt schun der Stoar,
Und wenn se wern reif sein, do sein bir a Poar!
Mach uff, doß der Duft dorch Dei Fansterl sprüht!
Der Kerschboom blüht! Der Kerschboom blüht!“

Aus „Sunntig-Nochmitts“ von Robert Sabel.

Robert Sabel (* 04.05.1860 in Lindenau, † 19.09.1911 in Oswitz bei Breslau), Rektor in Breslau, war ein schlesischer Dialektdichter, Schriftsteller und Leiter des Vereins zur Pflege schlesischer Mundart und Dichtung.
Sein Gedicht wurde in den „Warmbrunner Nachrichten“ vom 7. Mai 1910 veröffentlicht:
„Der Kerschboom blüht!“ von Robert Sabel in „Warmbrunner Nachrichten“
Quelle: Biblioteka Cyfrowa Uniwersytetu Wrocławskiego

Blühender Kirschbaum bei der Schwanheimer Düne, Foto: Elena.dehl, CC BY-SA 4.0 auf wikipedia
Blühender Kirschbaum
Foto: Elena.dehl, CC BY-SA 4.0 auf wikimedia


Mutter Schlesings Gabentisch

Beim weihnachtlichen Kerzenschein tritt Mutter Schlesing ins Haus herein. Ihre Augen leuchten so klar und frisch, sie bereitet uns einen Gabentisch. Damit wir gleich sehen, wie gut sie bäckt, legt sie nieder ein Beutelchen Neißer [1] Konfekt.

Daneben, sie braucht nicht erst lange zu suchen, ein großes Stück Warthaer [2] Pfefferkuchen und einen schlesischen Pfeffermann mit einem Schnurrbart von Zucker dran. Jetzt packt sie drei Liegnitzer [3] Bomben aus, wunderbar riechts schon durchs ganze Haus. Einen Karpfen aus Militsch [4] tischt sie jetzt auf mit Liegnitzer [3] Sauerkraut obendrauf.

Daneben errichtet sie eine Mauer von Bienenkörben und Würstchen aus Jauer [5] und stellt vor dies reizende Mauerwerk Gemüse in Büchsen aus Münsterberg [6]. Nun scheint sie erst nachdenklich zu verharren, dann zieht sie ein Kistchen Wans'ner [7] Zigarren aus ihrem großen Geschenkkorb ans Licht, den Mohnstriezel auch vergißt sie nicht.

Eine Ohlauer [8] Gänseleberpastete nicht minder, viel schönes Zuckerzeug für die Kinder und natürlich - es kann ja nicht anders sein. Einen Streuselkuchen, recht knusprig und fein. Jetzt kommen aus Gnadenfrei [9], Pfefferminzküchel, ein Gänsebraten, schön knusprig und zart, ein halb Dutzend Laubaner [10] Taschentüchel, für uns seit langem schon aufbewahrt.

Und jetzt legt sie hin einen duftig feinen Ballen echt Langenbielauer [11] Leinen, dazu das Gruschwitzgarn, eisenfest, ohne das sich die Wäsche nicht nähen läßt. Stellt einen Bunzeltopf [12] und ein Krüglein hin, eine Schüssel mit sauren Gurken drin, eine Schale, geschliffen vom Rand bis zur Mitte, direkt aus der Josephinenhütte [13], und noch etwas Kostbares brachte sie mit: ein Ringlein aus Jordansmühler [14] Nephrit.

Jetzt aber holt sie aus einer Tasche hervor eine funkelnde Stonsdorferflasche [15]. Ein Fläschchen Kroatzbeere [16] ebenfalls mit rundem Bäuchlein und langem Hals, zwei Flaschen Gorkauer [17] Bier daneben, denn die gehören ja auch zum Leben, einen Wünschelburger [18], einen Breslauer [19] Korn, einen echten Kirchwin, er steht ganz vorn, einen Schirdewan, einen Hennigcreme, sehr bekömmlich und angenehm eine Seeliger Truhe aus Waldenburg [20] auch, ein paar Flaschen Brunnen zum Krugebrauch, und zur Wiederbelebung geschwächter Kraft den Silsterwitzer [21] „Juchhanlasaft“.

Doch jetzt, das muß was Besonderes sein, aha, eine Flasche Grünberger [22] Wein! „Ja“, sagt sie, „'s is alles zu eure'm Wohle.“ Jetzt legt sie noch einen Kalender dazu und bringt einen Sack dann mit schwarzer Kohle, herbeigetragen in aller Ruh aus dem oberschlesischen Bergrevier, und einen aus Waldenburgs [20] reichen Gruben: „Heizt euch gut ein eure Kammern und Stuben.

Hier sind Streichhölzer auch aus Habelschwerdt [23], und hier für die Kinder ein hübsches Pferd, in den Bergen geschnitzt, wo das Kuhglöcklein klingt, und ein Rübezahl, der die Keule schwingt.“ Doch eh sie sich nun will zum Gehen wenden, läßt sie mit ihren emsigen Händen noch ein Grafschafter [24] Weihnachtskripplein entstehen mit Hirten und Engeln, hold anzusehn. Doch nun muß sie schon an die anderen denken, denn sie will ja vielen heut' noch was schenken. Ihr Weg ist noch weit und die Nacht nicht mehr lang, leb wohl, Mutter Schlesing, hab tausend Dank!

Ernst Schenke

Erläuterungen:
[1] Neisse: Stadt in Oberschlesien (poln. Nysa)
[2] Wartha: Stadt in Niederschlesien (poln. Bardo Śląskie)
[3] Liegnitz: Stadt in Niederschlesien (poln. Legnica)
[4] Militsch: Stadt in Niederschlesien (poln. Milicz)
[5] Jauer: Stadt in Niederschlesien (poln. Jawor)
[6] Münsterberg: Stadt in Niederschlesien (poln. Ziębice)
[7] Wansen: Stadt in Niederschlesien (poln. Wiązów)
[8] Ohlau: Stadt in Niederschlesien (poln. Oława)
[9] Gnadenfrei: Stadt in Niederschlesien (poln. Piława Górna)
[10] Lauban: Stadt in Niederschlesien (poln. Lubań)
[11] Langenbielau: Stadt in Niederschlesien (poln. Bielawa)
[12] Bunzlau: Stadt in Niederschlesien (poln. Bolesławiec)
[13] Josephinenhütte: Glashütte in Schreiberhau (poln. Szklarska Poręba)
[14] Jordansmühl: Dorf in Niederschlesien (poln. Jordanów Śląski)
[15] Stonsdorf: Dorf in Niederschlesien (poln. Staniszów)
[16] Echte Kroatzbeere: Brombeer-Likör aus
Schlegel, Dorf in Niederschlesien (poln. Słupiec)
[17] Gorkau: Dorf in Niederschlesien (poln. Górka)
[18] Wünschelburg: Dorf in Niederschlesien (poln. Radków)
[19] Breslau: Großstadt in Niederschlesien (poln. Wrocław)
[20] Waldenburg: Stadt in Niederschlesien (poln. Wałbrzych)
[21] Groß Silsterwitz: Dorf in Niederschlesien (poln. Sulistrowice)
[22] Grünberg: Stadt in Niederschlesien (poln. Zielona Góra)
[23] Habelschwerdt: Stadt in Niederschlesien (poln. Bystrzyca Kłodzka)
[24] Grafschaft Glatz: Region in Niederschlesien (poln. Hrabstwo Kłodzkie)

Erinnerung an mein liebes
Schlesierland

Ich sitz versunken in Gedanken in meiner Klause still allein,
möcht' mit dem Sonnstrahl' dem blanken recht schnell in meiner Heimat sein.

Der Krieg ist aus; aus tausend Wunden liegt blutend da mein Vaterland,
ich aber denk' in allen Stunden an Schlesien, an den Oderstrand.

Auch ich mußt' mein Heimatland verlassen, mußt' fort vom alten Vaterhaus,
ich kann es immer noch nicht fassen, man wies' uns aus der Heimat aus.

Ich denke oft an Schlesiens Berge und an die schönen Täler all,
dort, wo im Geisterreich der Zwerge, sein Zepter schwingt Geist Rübezahl.

Dann denk ich an die grünen Wälder, den alten Zobten grau und blau,
der uns gedient als Wettermelder, an Hirschberg und an Schreiberhau.
An Görlitz mit der Landeskrone, an Grünberg mit dem gold'nen Wein,
an Bunzlau mit dem guten Tone, an Laubans Taschentücher fein.

In Neusalz spann man feste Zwirne und Sagans Tuche war'n bekannt,
in Glogau gab's von Äpfeln, Birnen 'nen guten Most vom Oderstrand.

Auch Sprottau und Lüben möcht' ich nennen, Fraustadt, dann den Schlesiersee,
Steinau und Wohlau muß man kennen, Bad Trebnitz mit der Hedwigshöh'.

Im lieben Oels möcht' ich bestaunen das Schloß als Bauwerk wohlbestellt,
dabei hör ich die Sage raunen vom Herzog Oels, dem tapfern Held.

Die Oelser und die Festenberger Möbel, die wünschen wir uns jetzt herbei.
Von Militsch, Goschütz, Grabownitze, den Karpfen, Hecht und auch den Schlei.

In Haynau möcht' ich wieder weilen, in Liegnitz gar zu gerne sein,
zur Stadt der Gurken möchte ich eilen, möchte essen von den Bomben fein.

Das alte Goldberg will ich grüßen und Jauer mit den Würstchen klein,
auch Schweidnitz mit dem Schöps, dem Süßen, und Striegau mit dem Bruch von Stein.

Bad Salzbrunn möcht' ich wiedersehen, mein Waldenburg und Landeshut,
möchte in Neurode wieder stehen, in Glatz, wo blüht die Rose gut.
Möcht' wieder einmal Kroatzbeere trinken und Schüttenkümmel als Likör,
dem alten Schlegel möcht' ich winken, der stellte diese Sachen her.

Von Langenbielau zeugt sein Leinen und Nickel gab's in Frankenstein,
in Strehlen machte man aus Steinen die Würfel fein.
Auch Münsterberg sei nicht vergessen, Gemüse man da konserviert,
in Wartha konnt′ man Kuchen essen, den man mit Honig fabriziert.

In Reichenbach gab's große Werke, in Ohlau rühmt man Gänsebrust,
in Neisse höre zu und merke, gab es Konfekt, es war 'ne Lust.
In Oppeln sah man eifrig schaffen, das gleiche war in Brieg der Fall,
und Cosel mit dem Oderhafen ist sehr bekannt doch überall.

Jetzt muß ich Beuthen, Gleiwitz preisen, auch Hindenburg gehört dazu,
wo man die Kohle und das Eisen zu Tage fördert ohne Ruh'.
Bei Ratibor begann die Grenze, bei Neustadt war es ebenso,
ich wünsch', daß weiterhin erglänze der Annaberg so stolz und froh.

Nun grüße ich in Schlesiens Kleide die Perlen von den Bädern all,
Kudowa, Reinerz und Altheide, Bad Warmbrunn noch auf jeden Fall.

Noch weiter gehen die Gedanken nach Silberberg und Wölfelsgrund,
wo die Forellen, die silberblanken, Dir schmeckten gut zu jeder Stund.
Ich denke an Schlesiens Metropole, an dich mein altes Breslau lieb,
mit deiner Oder, deiner Ohle, und glaub', daß es nichts Schön'res gibt.

Mein Schlesien, Heimat meiner Lieben, dein denk ich bis zur letzten Stund,
bis es mal heißt, nun wird geschieden von diesem alten Erdengrund.
Dann will ich still von dannen gehen, doch eine Bitte schließ' ich ein:

Noch einmal möcht' ich Schlesien sehen und möchte dort begraben sein!

Verfasser unbekannt

Der Text stammt von einem Gedicht in einem Bilderrahmen aus der Heimatstube des Glatzer Gebirgs-Vereins.

 

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WEITER

Gedichte und Verse unserer Leser in Grafschafter Mundart und Hochdeutsch:

  • Franz Geisler
  • Thea Maria Jürgens, geb. Welzel
  • Wilhelm Schimmel
  • Max Wanschura
  • Adelheid Lehrig, geb. Kinzel

 

Von Erhard Gertler wurden bisher die folgenden Verse von Wilhelm Busch
Wilhelm Busch-Selbstbildnis
Wilhelm Busch-Autogramm
in die Mundart der Grafschaft Glatz übertragen:

 


Mundart und Volkstum in der Grafschaft Glatz

Sprichwörtlich geworden ist die Gutmütigkeit und Gemütlichkeit des Grafschafters. Nicht ohne Humor benützte er früher auch in der kälteren Jahreszeit als Nachtlagerstätte häufig den in manchen Häusern vorhandenen Backofen, zu dem auf der Stubenseite drei Stufen führten. Der Backofen blieb in der Nachtnach dem Brotbacken frei und auch, wenn man das warme Plätzchen dem Hühnervolk überließ, das auf den „Höllastifflan“ hinausstieg.
In still besinnlicher Familienrunde quälten quecksilbrige Kinder Mutter und Vater um Abzählverse und Spielreime, Scherz- und Spottliedchen. Der Humor der Kinder, um so zwerchfellerschütternder, je unfreiwilliger er ist.
Federnschleißen und die gemütlichen Rockagänge (Spinnstuben) gehören seit Jahrzehnten der Vergangenheit an. Kirmes, Fastnacht und Johannesnacht boten hochgestimmten Seelen bis zur Vertreibung Gelegenheit zu Äußerungen närrischer Eigenheiten. Zu den Gelegenheiten, bei denen die „Moannsmer“ (Männer) mundartliche Anekdoten erzählten und Späße machten, gehörte auch das „Woalflääschassa“ (Wellfleischessen). Hier handelte es sich aber weder um verschmitztes Lächeln und heimliches Blitzen aus dem Augenwinkeln, noch um grobe Scherze mit derben Worten. Die gesättigten Gäste aus der „Freindschoaft“ sprachen ihr „Pauersch“ mit dem köstlichen und feinen Humor, der die Unterhaltung durchzieht. Bei einem Wünschelburger Korn oder einem Schüttbodenkümmel äußerten sie sich in einer Mischung von tiefem Ernst und mildem Scherz über die Verhältnisse in der Gemeinde. In ihrer Berufsliebe sprachen sie am liebsten über reine Berufsangelegenheiten: Die Landwirte redeten „Vo der Wertschoaft, vom Kieh- on Schweinestoalle“. Nicht ohne feine Selbstverspottung gaben sich die Leute gegenseitige Anregungen. Kam die Rede auf die Errungenschaften moderner Kultur zu sprechen, wurde wohl der Satz hörbar: „Die Aala worn aa käne tomma Leute!“ Dieser Ehrfurcht gegen die Überlieferung ging die Ehrfurcht vor Gott und den Menschen voran. Nie aber fehlte der Wirklichkeitssinn, ob man nun von einem Mannweibe sagte: „Die delle hoot die Hosa oa!“ oder sprichwörtliche Redewendungen gebrauchte: „Arbt ma' schmeckt 's Assa!“, „Koop kiehl on Fisse warm, macht a besta Dokter arm!“, „Sonnticharbt brängt känn Sääjen!“ Die Volkssprache ist reich an Einzelbezeichnungen und besitzt eine Fülle von Sprachbildern. Der Grafschafter „weint“ nicht, „a flärrt, a flennt, a fluutscht, a hoilt, a noatscht, a macht a Gesetzla, a macht 'n Zeeker, die Träpplan kaula“ usw. - „Nä, woas bloß die Muttersprooche macht: De fiehrt ons hääm, derzehlt on lacht!“ (Robert Karger). Der natürliche und ungezwungene Mundartsprecher liebt Fremdwörter nicht. Er nennt sie „täälsche Wäärter“ (verrückte, unnormale). An ihrer Stelle verwendet er nach Möglichkeit bodenständige Ausdrücke: „Oarechta“ statt reparieren, „sich oabnahma bon“ statt photographieren, „rausschloon“ statt profitieren. Man läßt sich „a Boart wegtun“ (Rasieren), „a tutt ärre reda“ statt phantasieren.
In der Glatzer Mundart und den sprichwörtlichen Redewendungen haben die Beziehungen zwischen der äußeren Natur und dem Bewußtsein der Grafschafter ihren Niederschlag gefunden. Wenn auch regerer Verkehr und neuzeitliche Wirtschaftsverhältnisse das Maß der Naturgebundenheit der Bewohner der Grafschaft mancherorts herabminderten, so konnte man bis zur Vertreibung noch immer die Beobachtung machen, daß die Landbewohner innig mit der Natur lebten.
Am „Järjetag“, dem Tag des hl. Georg (23. April) begann einst die Pflicht des Bauern, den Knechten und Mägden ein besonderes Vesperbrot zu reichen: „Järjetag brängt a Vaschpersaak!“ Die Verpflichtung erlosch am 8. September: „Maria Gebort träät a wieder fort!“ „Zu Maria Gebort ziehn de Schwolba fort.“ Ins Frühjahr fielen die Maiandachten und die Bittage mit ihren Marienliedern, Litaneien und Prozessionen. - „Zu Pfingsta sein die Madlan om schinnsta!“ deutet das Sprichwort die hellen Kleider und den Frohsinn der Mädchen in der Frühlingsnatur. Zwischen Heu- und Getreideernte machten viele Leute eine „Wullfoahrt“, of Olbendrof, ei de Woarthe, of a Stachelbarg, of Maria Schnee. Wie tief der Tag des hl. Johannes des Täufers und die Zeit der Sommersonnenwende im Bewußtsein der Grafschafter verwurzelt waren, verrieten nicht nur die immer von neuem genährten „Johoannstichfeuer“ am Abend des 23. Juni, sondern auch der Sprachgebrauch „zu Johoanne“ statt der Kalenderangabe „zum 1. Juli“.
Im Volksbewußtsein verwurzelt war auch der Michaelstag (29. September). Die Zinsen mußten zu „Micheele“ gezahlt werden bedeutete „zum 1. Oktober“. Die Kinder sangen im Herbst zwar in der Schule „Näher rückt die trübe Zeit“, aber die reifen Früchte der Obstbäume ließen im Kindergemüt keine Wehmut aufkommen, ebensowenig die beim Kühehüten zwischen zwei oder drei Hütejungen benachbarter Felder gesungenen Wechselgesänge. Die wirklich echte Herbststimmung spürten sie erst, wenn das von Naturfreude umsäumte Viehhüten im Herbste aufhörte.
Die Winterszeit mit ihren schlimmen Wegeverhältnissen, ihrer bitteren Kälte, ihren geringen Verdienstmöglichkeiten lag schwer auf dem Gemüt des kleinen Mannes. Die Kinder wurden ermahnt, nicht ohne „Schaultichlan“ in die Kälte hinauszulaufen, „die Potscha“ anzuziehen, nicht „eim Jackla Schleppian oder Schlieta zu foahrn“. Viel vom Winterleid und der Winterqual wurde durch die religiösen Einwirkungen der „Roratemessen“, der „Christnacht, der Jahresschlußandacht, den Dreiköniggottesdiensten, des Vorfrühlingsfestes Maria Lichtmeß“ aus dem Gemüte der Dorfbewohner herausgenommen. Daß die Kinder im rauhen Grafschafter Winter fröhlich und heiter blieben, dafür sorgten u.a. der „Neckelstag“ und das Weihnachtsfest mit ihren Vor- und Nachfreuden.
Der Ablauf der Tageszeiten hat in der Volkssprache ebenfalls seinen Niederschlag erhalten. Der Morgen, Mittag und Abend waren im Volksbewußtsein mit dem Läuten der Kirchenglocken zu diesen Tageszeiten, dem „Aveläuten“ verbunden. „Em 's Marjalätta“ mußten schon die ersten Arbeiten auf dem Dorfe verrichtet werden. „De lätta Mettich!“ lautete die Ankündigung der Mittagszeit, die zur Mahlzeit und zu einer kurzen Mittagsruhe einlud. „Em's Oomdlätta“ ging man vom Felde heim, und es trat allmählich der Abendfrieden in seine Rechte.
Diese Tageszeiten wurden auch im Gruß verwendet. Man grüßte „Guda Marja!“, „Guda Mettich!“, „Guda Oomd!“ Doch verwendeten auch die jüngeren Dorfbewohner schon vielfach die hochdeutschen Grußformen: „Guten Morgen!“, „Guten Tag!“, „Guten Abend!“. Auch die Begrüßung mit „Grüß Gott!“ war immer öfter zu hören.
Bei der Naturverbundenheit, die dem Grafschafter noch eigen war, kam die Wertschätzung der Gesundheit und die Furcht vor Erkrankung auch in den mundartlichen Redensarten zum Ausdruck. Ging jemand am Abend heim, verabschiedete er sich mit den Worten: „Schlooft ock olle gesond!“ oder „Bleit mer ock ei Goots Noama!“, „Labt mer ock olle gesond!“ - „Ar ies nee recht monter!“ bedeutete: Er kränkelt. „Nä, ar gefällt mer goar nee!“
Für die tieferen Zusammenhänge der leiblichen Gesundheit mit dem Seelenleben hat der Grafschafter viel Verständnis, wofür u.a. auch die vielen Votivtafeln in den Wallfahrtskirchen zu Albendorf und Maria Schnee zeugen. Wenn jemand erkrankt, wird möglichst bald „nooch 'm Dokter on nooch 'm ‚Pfoarr‛ gescheckt“. In leichten Fällen holte man sich Rat „bei a Schwestan“. Bei Arm- und Beinbrüchen ging man zum „Schäfer“. Wie die Krankheit als Heimsuchung Gottes angesehen wird und die Gesundheit als Geschenk der Vorsehung, geht aus der Redewendung hervor: „Onser Herrgott watt 's wessa, warom!“
Das Werk der leiblichen Barmherzigkeit „die Kranken besuchen“ wurde in der Grafschaft Glatz fleißig ausgeübt. Man ging zur „Freindschoaft“. Viel Bedeutung wurde dem Verhältnis von Pate und Patenkind beigelegt. Die Kinder wurden angehalten, die Paten mit „Pat' Heinrich“, „Gersch-Pate“, „Kleine (Frau) Pate“ oder „Gruße (Mann) Pate“ anzureden. Die Patenkinder wurden von ihren Paten z.B. durch die Anrede „Pat Annla“ ausgezeichnet. Die mundartliche Bezeichnung „Grula“ wurde zu „Großmutter“. Die heutige Bezeichnung „Oma“ war ganz selten. Der Bruder des Vaters oder der Mutter hieß „Vetter“; die Schwester der Mutter oder des Vaters, die Tante, hieß wohl noch in den Sommersonntagsliedern „Muhme“. „Mer sein rechte Geschwesterkender“ sagten Vettern und Basen einst. Das Wort Base war aus der Biblischen Geschichte bekannt. Die Ausdrücke „Kusin“ und „Kusine“ traten an die Stelle des absterbenden Sprachgutes. Die Kinder der Geschwisterkinder waren „andere Geschwesterkender“. Zum absterbenden Sprachgut gehörten auch die Verwandtschaftsbezeichnungen „Brudersch Suhn“ oder „Brudersch Mädla“, „der Schwaster Jengla“ für die hochdeutschen Ausdrücke Neffe und Nichte.

aus: „Die Mundart der Grafschaft Glatz“ von Alois Bartsch, 1980

 

Die Mundart der Grafschaft Glatz

Heilje Muttersprooche: Oa dänn Klänga
Wäll mer ons begeistrn emmerzu.
Klengst wie Kärchtoarmglocka, wenn se lätta,
Nooch dr Arbt zu steiler Sonntichruh.

Robert Karger

In dem Glatzer Land herrschte eine besonders ausgeprägte Mundart. Sie ist geformt durch die Herkunft der mittelalterlichen Siedler und durch die Topographie des Landes, seine Abgeschlossenheit durch die hohen, bewaldeten Randberge. Sie ist scharf abgegrenzt von den übrigen schlesischen Mundarten.
Die Siedler brachten in der Mehrzahl nicht die originalen Stammes-Mundarten mit (Fränkisch oder Thüringisch usw.), sondern bereits eine Misch-Mundart zwischen Thüringisch und Ostfränkisch, die sich in der Zwischenzeit auf dem Wege nach dem Osten, nach dem Glatzer Land ausgebildet hatte; also einen Ausgleich der mitgebrachten Einzelmundarten.
Die schlesische Mundart und mit ihr die Glatzer gehört zu den mitteldeutschen Mundarten, die den Übergang zwischen den oberdeutschen Mundarten (Alemannisch, Schwäbisch, Bayerisch-Österreichisch) und den niederdeutschen (Niederfränkisch, Niedersächsisch-Niederländisch) bilden. Einflüsse slawischer Sprachen sind sehr gering. Die Mundart wurde bereichert durch den Wortschatz der verschiedenen Berufe. Sie ist kein „verderbtes Deutsch“, sondern die eigentliche Muttersprache. Es gibt Unterschiede zwischen Nord- und Südglätzisch. Diese werden von einigen Autoren auf die verschiedenen Zeiten der Besiedlung zurückgeführt, was aber Friedrich Graebisch, der sich viele Verdienste um die Mundart erworben hat, abgelehnt hat. Er schreibt die Unterschiede vielmehr dem Einfluß der nordmährischen Nachbarmundart zu, die einen stärkeren ostfränkischen Einfluß aufweist.

 

Beispiele:

Schriftdeutsch

Nordglätzisch

Südglätzisch

Heimat

Häämte

Haimte (a-i)

kleines

kläänes

klaines

Häuschen

Häusla

Hoisla

kleiner Wagen

kläänes Wäänla

klaines Woinla

Steine

Stääne

Staine

er hat gesagt

a hoot gesäät

a hoot gesoit

ausgezogen

ausgezään

ausgezoin

allein

allääne

alleine

am Wege

om Wääche (Wääje)

om Waiche (Waija)

 

Während in der Schriftsprache im allgemeinen ein Begriff mit einem Wort wiedergegeben wird, gibt es in der Glatzer Mundart vielerlei Ausdrücke dafür. So z.B. „weint“ der Grafschafter nicht, sondern „a flärrt, a flennt, a fluutscht, a hoilt, a noatscht, a macht a Gesechtla, a macht'n Zeker, die Träppla kaula“ usw.
Friedrich Graebisch hat in seiner Arbeit „Die Mundart der Grafschaft Glatz und ihrer böhmischen Nachbargebiete“ (1920) die Regeln und Grundsätze für die Schreibart der Glatzer Mundart niedergelegt.

Onse Muttersprooche woar schonn doo
eh nooch jihmand droa doocht, herrsch zu reda.
's ies a aaler treubehutter Schoatz,
ieber oallem erdscha Reichtum steht a.
Stehst eim Hatze drenne gutt verwoahrt,
Muttersprooche, heil'jes Mutterwoart.

Robert Karger.

aus: „Landeskunde der Grafschaft Glatz“ von Aloys Bernatzky, 1988

 

Literaturhinweise

Mundart der Grafschaft Glatz

Wörterbuch
Mundart der Grafschaft Glatz
Schlesien

Pauersch laasa
Pauersch lanna
Pauersch verstihn
Doas iis schinn

304 Seiten, 7.785 Stichwörter, DIN A 5-Format,
fester Einband mit Leinen-Überzug.

Landeskunde der Grafschaft Glatz

Landeskunde der Grafschaft Glatz
von Aloys Bernatzky

Auf 200 Seiten mit 160 Abbildungen faßt der Autor alles Wissenswerte über die Grafschaft Glatz zusammen. Ein Abriß der Geschichte der Grafschaft Glatz rundet das Werk ab. 2. Auflage.

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