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Dokument aus der Grafschaft Glatz

Heft über Mittelwalde von 1914

Kurze Chronik der Stadt Mittelwalde.

„Schloß Mittelwalde“, so lautete die Ueberschrift eines Artikels in Nr. 3, Jahrg. 9 der Zeitschrift des G. G. V., der den Zweck hat, die Leser hauptsächlich mit dem Inneren dieses stolzen Gebäudes bekannt zu machen. Fremden dürfte es nur in sehr geringer Zahl geglückt sein, einen Blick in das, das ganze Stadtbild beherrschende, Schloß getan zu haben. Deshalb werden alle Leser der Zeitschrift dem Verfasser für seine Arbeit dankbar sein. An die Beschreibung des Gebäudes schloß sich eine Aufzählung der Besitzer der Herrschaft Mittelwalde. Zweck der folgenden Zeilen soll eine Ergänzung des geschichtlichen Teiles jenes Artikels sein, sie sollen eine kurze Chronik unseres Städtchens bieten.

Es ist an anderer Stelle der Nachweis zu führen unternommen worden, daß schon in unvordenklichen Zeiten eine Straße von Mähren aus in nächster Nähe an Mittelwalde vorüber führte, die sich bei Habelschwerdt mit der von Böhmen kommenden vereinigte, die durch die Burg Schnallenstein geschützt war. Zwischen diesen beiden uralten Handelsstraßen besteht eine Verbindung. Da, wo die stille Adler sich in die wilde Adler ergießt, zweigt sich ein Weg ab, der dem Laufe des zuerst genannten Flusses bis in sein Quellgebiet folgt und damit östlich von Grulich in die unmittelbare Nähe der mährischen Straße führt.

Der Ortskundige wird sich sagen, daß Reisende, die vom Neißetal durch die Schluchten der stillen Adler nach Böhmen ziehen wollten, nicht erst den mährischen Weg bis Herrnsdorf benützt haben werden, sondern sich eine kürzere Route aussuchten. Es kommen bei diesem Versuch zwei Gebirgsübergänge in Betracht: der Weg über Mittelwalde, Bobischau, Nieder-Lipka und über Mittelwalde, Steinbach, Wichstadtl. Beide Straßen konnten durch eine Befestigung an der Stelle des heutigen Schlosses Mittelwalde gesperrt werden. Die Burg ist also jedenfalls als Sperrfort gebaut worden. Um dieses bildete sich eine Ansiedlung, der später Stadtrechte verliehen wurden. Die Anlage der Burg erfolgte höchstwahrscheinlich unter Bretislaus I. († 1055), der sowohl in Böhmen wie in Mähren eine Art militärische Bevölkerung ansiedelte, die das Land gegen feindliche Einfälle schützen sollte. Die ehemals tschechischen Ansiedlungen im Bereich der Herrschaft Mittelwalde: Bobischau, Yavorek-Urnitz, Nowuwes-Neundorf, Sklenarzwice-Gläsendorf legen die Vermutung nahe, daß auch Mittelwalde eine ursprünglich tschechische Ansiedlung war.

Vielfach kann man beute noch aus der Ortsanlage erkennen, ob eine Gemeinde von Tschechen oder Deutschen gegründet worden ist. Leider ist dies bei Mittelwalde nicht mehr möglich. Die alles verwüstenden Hussitenkriege haben die erste Ansiedlung total vernichtet. Nur soviel ist sicher, daß die jetzige Anlage der ersten nicht mehr entspricht. Der jetzige Ring wurde früher vom Mühlgraben durchflossen, das Haus des Kaufmanns Exner war ursprünglich die Mühle. Da auch die Häuser nicht in so unmittelbare Nähe des Schlosses gebaut werden durften, wie sie jetzt stehen, weil sich ja sonst der Feind bequem in ihnen festsetzen konnte, bleibt nichts übrig, als die ursprüngliche Anlage in der heutigen Glatzer Vorstadt zu suchen. Dort stand auch die Pfarrkirche: die heutige Barbarakapelle. Der sie umgebende Friedhof ist jedenfalls so alt wie die Stadt Mittelwalde.

Unter König Ottokar II. (1253-1278) erfolgte eine massenweise Einwanderung der Deutschen ins Glatzer Land. Man nimmt aber an, daß die südliche Grafschaft schon einige Jahre früher, als Gallus von Lemberg Heer der Grafschaft war, germanisiert wurde. Wir werden der Wahrheit am nächsten kommen mit der Annahme, daß Gallus von Lemberg mit der Germanisation begann, die dann um das Jahr 1262, als Ottokar das Glatzer Land in seinen Besitz brachte, durchgeführt wurde.

Als deutsche Stadt erscheint Mittelwalde zum erstenmale am 30. April 1294. Damals schenkte Wenzel II. seine Stadt Mittelwalde mit dem Markte, der Gerichtsbarkeit, allen Dörfern, bebauten und unbebauten Aeckern usw., doch unter der Bedingung, daß diese Herrschaft nie von der Krone Böhmens getrennt werden dürfe, dem Kloster Kamenz. Die Cistercienser, als Pioniere des Deutschtums nach Schlesien berufen, haben sicher auch in Mittelwalde als solche gewirkt.

Wie lange das Kloster im Besitz des Städtchens und seines Weichbildes blieb, läßt sich mit Sicherheit nicht angeben. Wahrscheinlich verkaufte es diese Herrschaft im Jahre 1315 an Otto von Gloubos (Glaubitz), der in der Gegend von Kamenz begütert war. Er starb, nachdem er in langem Leben zu grobem Reichtum gelangt war, im Jahre 1380. Außer anderen Liegenschaften gehörten ihm die heutigen Herrschaften Mittelwalde mit Schönfeld, Wölfelsdorf und Schnallenstein. Die Herrschaft Mittelwalde hatte er schon im Jahre 1358 seinem Sohne Otto, genannt Schramm, übergeben. Dieser starb um das Jahr 1407 mit Hinterlassung zweier Söhne, Wolfhart und Hans, von denen der erstere die Herrschaft Mittelwalde erbte, um sie nur zu bald zu verlieren. In Böhmen hatten sich die Anhänger des Huß gegen Kaiser Sigismund erhoben. Da dieser ihrer nicht Herr werden konnte, bat er die schlesischen Fürsten um Hilfe. Die Grenze bei Mittelwalde war von dem hussitischen Herrn von Grulich, Jan Kolda von Zampach und Pottenstein, besetzt. Am 11. Oktober 1420 drang das schlesische Heer über Mittelwalde im östlichen Böhmen ein und zerstörte die dem Herrn v. Zampach gehörigen Burgen Littitz und Pottenstein. Nun war Mittelwalde für einige Jahre von der Gefahr eines hussitischen Ueberfalls befreit, aber es war nur die Ruhe vor dem Sturme. Im März 1428 drangen hussitische Heerhaufen in zwei Abteilungen in die Grafschaft ein. Auf dem Vormarsch kam die eine bis Mittelwalde. Das Städtchen wurde in Brand gesteckt, das Schloß eingenommen und zerstört. Was sich von den Bewohnern nicht durch Flucht in die Wälder gerettet hatte, wurde erbarmungslos niedergehauen. Die umliegenden Dörfer und die Kirchen wurden ausgeplündert und in Brand gesteckt. Die Hussiten zogen in den folgenden Jahren noch öfters durch die Grafschaft. Die gänzliche Verwüstung des südlichen Teiles dieses Landes läßt darauf schließen, daß sie noch mehrere Male als ungebetene Gäste hier hausten. Im Jahre 1430 brach unter den, dem Gemetzel der Hussiten entgangenen, Bewohnern die Pest aus, und so war Mittelwalde ein Trümmerhaufen, eine Totenstadt geworden.

Ueberaus hart wurde durch den Einfall der Hussiten das Geschlecht des Herrn v. Gloubos getroffen. Sie waren schnell zu Reichtum und Ansehen gelangt, aber noch schneller sank ihre Macht dahin. Ob Wolfhart v. Gloubos fiel oder nach der vollständigen Verwüstung seines Besitzes auswanderte, um in der Fremde ein neues Heim zu gründen, wir wissen es nicht. Schon vor 1434 hatte der Landesherr, Puotha v. Czastalowitz, die Herrschaft Mittelwalde seinem getreuen Marquard Thrlik übergeben, der sie wahrscheinlich bis 1440 inne hatte. Damals verkauften die Erben Puothas ihren Pfandbesitz über das Glatzer Land dem Hynko Kruschina von Lichtenburg. Nach dessen Tode verkaufte sein Sohn Wilhelm die Pfandbriefe über Glatz, Frankenstein usw. an Georg v. Podiebrad, den späteren König von Böhmen. Als dieser gestorben war, übergab sein ältester Sohn Heinrich 1472 Stadt und Schloß Mittelwalde samt den früher dazu gehörigen Dörfern dem Balthasar Tschischwitz auf Wölfelsdorf für Lebenszeit zum Genuß. Doch schon vor dessen Tode wurde die Stadt und ihr Weichbild dem Christoph v. Tschischwitz übergeben, der schon 1479 als Herr derselben genannt wird. Er mußte aber die Herrschaft an Herzog Heinrich zurückgeben, der sie am 21. Mai 1479 seinem Hofmeister Georg Bischofsheim, Latowsky genannt, und seinen Erben als Lehn übergab. Dieser veräußerte sein Anrecht auf Mittelwalde im Jahre 1493 an Jan v. Pottenstein auf Zampach, der auch die benachbarten Herrschaften Grulich und Wichstadtl besaß.

Dieser fortwährende Wechsel des Besitzers konnte für die Entwicklung des Städtchens, das sich nach und nach aus der Asche erhoben hatte, nicht günstig sein. Jan v. Pottenstein und seine Söhne waren überdies noch stark verschuldet, und so kam es, daß Mittelwalde von 1531-1535 sequestriert werden mußte. Zum Glück faßte damals der Schwiegersohn des Jan v. Pottenstein, Hans v. Tschirnhaus und Bolkenhain, den Plan, Stadt und Herrschaft Mittelwalde zu erwerben. Er zahlte nach und nach den Miterben ihre Anteile an der Erbmasse des Jan v. P. aus und wurde alleiniger Besitzer, trat allerdings sein Pfandrecht über Mittelwalde an seine Söhne David und Michael ab. Am 19. Oktober 1564 leisteten die Erben des Herrn v. Pottenstein in aller Form Verzicht auf Mittelwalde.

Das Verdienst der Herren v. Tschirnhaus besteht darin, daß sie endlich ernstlich an den Aufbau des Städtchens und der umliegenden Dörfer dachten. Die Brüder David und Michael von Tsch. erbaten 1562 vom Kaiser Ferdinand die Erneuerung des alten Stadtwappens, erwirkten 1579 von Rudolf II. die Erlaubnis, daß hier jährlich 2 Jahrmärkte und jeden Donnerstag Wochenmarkt gehalten werden konnte, 1581 konfirmierte er endlich auch alle Privilegien „dem Stadtel Mittelwalde, welches vor Alters von den vorigen Königen von Böhmen nach den alten Briefen ausgesetzt“ ist.

Johann von Tschirnhaus und seine Söhne müssen auch als Gründer der Dörfer Schönthal (um 1538), Herzogswalde (vor 1563), Steinbach und Altneißbach (1564), Schreibendorf, Grenzendorf (1587) und Rothflössel angesehen werden. Bobischau hatte sich nach den Hussitenkriegen zuerst wieder erholt; das der Stadt benachbarte Schönau wurde wahrscheinlich kurz vor der Gründung von Steinbach durch die Gebrüder v. Tschirnhaus angelegt. Daß durch diese Neugründungen nicht nur dem Grundherrn, sondern auch den Handel- und Gewerbetreibenden des Städtchens Vorteile erwuchsen, leuchtet von selbst ein.

Unter den Herren v. Tschirnhaus breitete sich die Sekte der Wiedertäufer und Schwenkfelds im Gebiete der Herrschaft aus. Da diese nach ihrer Lehre keine Kirchen und Pfarrer brauchten, verfielen Kirche und Pfarrhof, wie wir aus dem Dekanatbuche des Neätius vom Jahre 1560 erfahren. Als später die Lehre Luthers mehr Eingang in der Grafschaft fand, drangen wahrscheinlich die Bewohner des Städtchens auf Anstellung eines Pastors. Bis 1623 bekannte sich der weitaus größte Teil der Bewohner zur lutherischen Lehre.

Nach Einführung der Gegenreformation mußte der hiesige Pfarrer die übrigen Kirchen der Herrschaft Schönfeld-Mittelwalde mitversehen, da nicht genügend katholische Priester vorhanden waren.

David von Tschirnhaus starb im Dezember 1600 ohne leibliche Erben, daher wurde sein Bruder Michael alleiniger Besitzer der Herrschaft. Dieser verschied am 19. Juli 1607. Mittelwalde ging hierauf in den Besitz des ältesten der drei Söhne, David Heinrich, über, der infolge seiner Parteinahme für den sogenannten Winterkönig Friedrich V., welcher unseren David v. Tsch. zum Landeshauptmann der Grafschaft Glatz eingesetzt hatte, nach dem Einrücken der kaiserlichen Truppen flüchten mußte und seiner Güter verlustig erklärt wurde. Die Mittelwalder Herrschaft fiel an den Landesherrn, den Erzherzog Karl, Bischof von Breslau. Erst 1638 konnte David v. Tsch. seinen Besitz wieder einlösen. Nach seinem 1642 erfolgten Tode fiel die Herrschaft Mittelwalde an seine Schwestern. Kaum hatten diese das Erbe angetreten, da brach das Verderben über die Stadt herein. Feuersbrünste und Ueberschwemmungen hatten die neugegründete Stadt schon mehrfach heimgesucht, die Pest hatte im Jahre 1634 in der Pfarrei Mittelwalde 379 Opfer gefordert, schwer hatten die Bürger in den Jahren 1632-1634 infolge der Durchzüge des kaiserlichen Heeres gelitten, doch das Maß des Uebels machte der Einfall der Schweden voll.

Im April 1643 brach Torstenson von Bautzen aus in Böhmen ein und wandte sich im Juni nach Mähren. Dabei kam eine Abteilung schwedischer Reiter am 11. Juli nach Mittelwalde und steckte die Stadt in Brand. Sowohl die 1595 erbaute Pfarrkirche, wie die Barbara-Kapelle, das Pfarr- und Schulhaus wurden ein Raub der Flammen. Es brannten 82 Häuser in der Stadt und 39 Bürgerhäuser in der Vorstadt nieder. Nur beim sogenannten Totengäßchen blieben 10 Häuser stehen. In derselben Weise hausten diese Unmenschen in den Dörfern. Während des folgenden Winters und Jahres hatte die völlig ausgesogene Gegend die hier durchziehenden und in Winterquartieren liegenden kaiserlichen Truppen zu unterhalten. Bald sollte die Stadt wiederum Besuch von den schwedischen Plagegeistern erhalten. In der Nacht vom 22. zum 23. Oktober 1645 rückten sie von Geiersberg her bis Mittelwalde vor, blieben 6 Wochen hier liegen und legten dem Städtchen noch eine Brandschatzung von 700 Talern auf. Zudem steckten sie bei ihrem Abzuge die aufgebauten Häuser wieder in Brand. Als im folgenden Jahre sich dieses Räubergesindel wieder in der hiesigen Gegend zeigte, floh die ganze Bevölkerung in die Wälder. Leider hausten im Frühjahr 1647 die kaiserlichen Regimenter in ähnlicher Weise. Der westfälische Friede machte endlich dem langen Kriege, nicht aber dem durch ihn hervorgerufenen Elend ein Ende.

Die Besitzerinnen der Herrschaft Mittelwalde verkauften diese wenige Jahre darauf (1653) an den Grafen Michael Ferdinand v. Althann, der die benachbarte Herrschaft Grulich-Wichstädtl bereits erworben hatte. Seitdem ist das Gut im Besitz dieses Geschlechtes geblieben. Als der Graf die Herrschaft übernahm, muhte er erst für die Sicherheit in seinem Gebiet, das ganze Räuberbanden durchstreiften, sorgen. Er organisierte eine Sicherheitswache, welche die ganze Gegend bald von dem lichtscheuen Gesindel befreite.

Unter seinem Nachfolger Michael Franz wurde 1670 die Barbarakapelle aufgebaut, die Pfarrkirche konnte von der durch den Krieg völlig verarmten Gemeinde erst 1676 wieder für den Gottesdienst eingerichtet werden.

Durch den Grafen Michael Wenzel I. Franz wurde der Familienbesitz durch Ankauf der Herrschaften Schnallenstein und Seitenberg vergrößert. Unter ihm hatte sich die Stadt nach und nach aus dem Schutte erhoben, jedoch brannten wenige Monate nach seinem Tode, am 16. Oktober 1686, 19 neuerbaute Häuser ab. Von diesen wurden 14 an der alten Stelle wiederum erbaut, 5 Brandstellen blieben liegen, um den Prospekt des neuen Schlosses, das dieser Graf zu bauen angefangen hatte, nicht zu stören. Dafür ließ sein Nachfolger 8 neue Häuser in der Bockgasse (jetzt Grulicher Straße) auf seine Kosten bauen.

Michael Wenzel II. (1686-1738) legte 1707 die nach seiner zweiten Gemahlin benannte Julianengasse, jetzt Poststraße, an. In dem von ihm kassierten sogenannten Hüttenteiche wurden 10 Häuser ausgesetzt. Die zwischen ihnen gelegene Straße erhielt den Namen Teichgasse. Auf der Mitte des Marktes ließ er 1698 die Mariensäule errichten. Da die Bevölkerung des Städtchens und der eingepfarrten Dörfer immer mehr wuchs, faßte der Graf den Plan, eine entsprechend gröbere Kirche und Schule zu bauen. Erstere sollte gegenüber dem jetzigen Pfarrhofe (der ursprüngliche stand an der Stelle des heutigen Rathauses) errichtet werden. Leider ist diese Absicht nicht ausgeführt worden, sein Nachfolger Michael Emanuel (1738-1749) verkaufte sogar die von Michael Wenzel II. bereits geschenkten Bauflecke wieder, da er sich in beständiger Geldnot befand. Unter ihm kam Mittelwalde unter preußische Herrschaft. Während des Zweiten Schlesischen Krieges war Mittelwalde bald von preußischen, bald von österreichischen Truppen besetzt.

Graf Michael Otto (1749-1797) wird von seinen Zeitgenossen als Sonderling geschildert, der sich freute, in Prozesse verwickelt zu werden. Zu seiner Zeit hatte das Städtchen mehreremals die Ehre, hohe Gäste in seinen mauern zu beherbergen: 1779 den Minister v. Hoym, 1790 den Kronprinzen, nachmaligen König Friedrich Wilhelm III. und bald darauf den Prinzen Ludwig von Preußen.

Der Siebenjährige Krieg forderte von der Stadt grobe Opfer, besonders als Laudon 1760 zur Belagerung von Glatz schritt. Damals passierten öfters an einem Tage 600 bis 700 Wagen die Straßen, die dadurch so ruiniert wurden, daß man in der Stadt vor Gruben und Löchern nicht mehr vorwärts kommen konnte. Die Fuhrleute verließen daher am Meisenberg die Straße, fuhren quer über die Felder und das Widmutwasser und kamen unter dem Galgenberge wieder auf die Landstraße. Die Bauern, die Fourage nach Mittelwalde bringen sollten, mußten die Lasten auf dem Rücken über Feldsteige herbeischaffen. Bis zum Friedenschluß blieben hier die österreichischen Proviantmagazine bestehen.

Feindeshand hatte in diesem Kriege keine Brände in das Städtchen geschleudert; wie mögen die Bewohner erleichtert aufgeatmet haben, als beim Friedensschluß keine Ruinen das Ende des Schreckens bezeichneten. Doch nur zu schnell sollten Brandunglücke enormen Schaden anrichten. Am 30. April 1763 brannten beide Häuserreihen der Bockgasse, im ganzen 20 Gebäude, völlig nieder. Noch furchtbarer wütete eine Feuersbrunst am 13. April 1776. Diese nahm ihren Anfang im Stallgebäude des Kommerzienrates Ludwig und breitete sich über den ganzen Markt aus. Schloß und Kirche waren in großer Gefahr, konnten aber gerettet werden. Um Mitternacht standen bereits 46 Häuser in Flammen. Friedrich d. Gr. gab den Abgebrannten ein Gnadengeschenk von 45.000 Reichstalern, aus dessen Höhe man auf den tatsächlichen Verlust der Bürger schließen kann.

Zum Glück waren damals die Erwerbsverhältnisse äußerst günstig. Die Zeit von 1750-1807 kann trotz aller, die Allgemeinheit treffenden Uebel, das goldene Zeitalter des Mittelwalder Bezirkes genannt werden. Die Firma Ludwig hatte sich aus kleinen Anfängen zu einem Welthandelshause entwickelt. Die Leinwandindustrie ernährte die Stadt und die umliegenden Dörfer und führte die Bewohner zu einer bis dahin unbekannten Wohlhabenheit. Der sogenannte Bayerische Erbfolgekrieg drohte den Wohlstand zu vernichten. Durch Erpressungen, nächtliche Einfälle und Plünderungen wurde die Stadt, die am Friedensschlusse 10.000 Reichstaler Schulden hatte, arg mitgenommen, erholte sich aber sehr bald infolge der Leinwandindustrie.

Unter Graf Michael Carl (1797-1805) brach am 3. Mai 1800 im Hause des Stadt-Chirurgen Bürgel Feuer aus, durch das die Nachbarhäuser, besonders die Stadtmühle, in große Gefahr gerieten. Flugfeuer hatte schon verschiedene Gebäude in Brand gesetzt; eine Feuersbrunst hätte die Stadt wiederum, wie 1776, in Asche gelegt, wenn nicht durch den Pfarrer, Dechant Winter, der die Löscharbeiten mit größter Umsicht leitete, der Brand auf seinen Herd beschränkt worden wäre.

Nach dem Tode des Grafen Michael Wenzel III. (1805-1810) fiel die Herrschaft an den Grafen Michael Johann (1810-1815). Unter ihm fand das goldene Zeitalter ein unvorhergesehenes Ende durch den unglücklichen Krieg Preußens mit Napoleon. Infolge der Kontinentalsperre waren die überseeischen Absatzgebiete verloren gegangen, konnten auch nach den Befreiungskriegen nicht mehr gewonnen werden, und das hochangesehene Handelshaus Ludwig geriet in Konkurs. Dazu kamen die ungeheuren Kriegslasten, durch die die Bewohner vollends verarmten.

Eine gute Folge wenigstens hatte das Unglücksjahr 1806/7 für Mittelwalde. Der König verfügte die Aufhebung der Erbuntertänigkeit, wodurch den Untertanen der Herrschaft ihre persönliche Freiheit gegeben wurde, und erließ die Städteordnung, wodurch das städtische Gemeinwesen nun unabhängig von der Gutsherrschaft in Bezug auf Verwaltung und Gerichtspflege wurde. Mittelwalde hat seine Unabhängigkeit um Jahrhunderte zu spät erlangt. Die Abhängigkeit hat es verschuldet, daß dieser Ort nicht wie die anderen Städte der Grafschaft Grundbesitz erwerben konnte. Der ganze Besitz bestand bei Emanierung der Städteordnung außer einigen Acker- und Wiesenflecken im Rathaus. Größere Liegenschaften in der Nähe der Stadt zu kaufen, gab es später keine Gelegenheit mehr. Alle Lasten, die auf der Gemeinde ruhen, müssen durch Kommunalsteuern aufgebracht werden.

Brände und Ueberschwemmungen richteten im 19. Jahrhundert wiederholt bedeutenden Schaden an, — es sei nur, weil der zugewiesene Raum eine ausführliche Chronik bis in die Neuzeit nicht zuläßt, an die Wasserflut von 1827 und die Feuersbrunst von 1892, welche die Glatzer Vorstadt in Asche legte, erinnert, — und wirkten hindernd auf die Entwicklung der Stadt. Ein Glück für Mittelwalde war und ist auch jetzt noch seine Lage an der Grenze, die den Export der Kaufmannsgüter ins Nachbarland begünstigt. Die Industrie entwickelte sich erst seit Eröffnung der Bahnlinie. Seit die Stadt an den Weltverkehr angeschlossen ist, sind in ihr auch mannigfache Verbesserungen geschaffen worden, ohne daß, und das ist die Freude jedes Heimatsfreundes, das alte Stadtbild wesentlich verändert worden ist.

M. Tschitschke.

aus: „Mittelwalde und seine nähere Umgebung in Wort und Bild“, herausgegeben von der Ortsgruppe Mittelwalde des Glatzer Gebirgsvereins, Juni 1914; ehrenamtlich digitalisiert von Christian Drescher, Januar 2017. (Die Original-Schreibweise wurde beibehalten.)
 

Heft über Mittelwalde von 1914

Mittelwalde und seine nähere Umgebung in Wort und Bild

Titelseite vom Heft über Mittelwalde von 1914
Titelseite

herausgegeben von der Ortsgruppe Mittelwalde
des Glatzer Gebirgs-Vereins, Juni 1914

Dieses Heft wurde im Januar 2017
ehrenamtlich digitalisiert und bereitgestellt von
Dipl.-Ing. Christian Drescher, Vorsitzender des
Glatzer Gebirgs-Verein (GGV) Braunschweig e.V.
gegründet 1881 in Glatz (Schlesien) und
wiedergegründet 1951 in Braunschweig
www.glatzer-gebirgsverein.de – © 2017

 

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Erste Version vom 15.01.2017, letzte Aktualisierung am 15.01.2017.