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Aktuelle Nachrichten aus der Grafschaft Glatz

Antijüdischer Terror 1938 in Glatz,
seit November 2018 in Berlin ausgestellt

Von Rembert Boese

Es ist eine Überraschung für alle, die in der polnischen Stadt Kłodzko leben oder die früher in Glatz gelebt haben. Derzeit wird in Berlin eine Ausstellung 80 Jahre nach dem Staats- und Parteiterror gegen die jüdische Bevölkerung im November 1938 gezeigt, welche die damaligen Ereignisse in Glatz als Teil des Deutschen Reiches nachzeichnet.
Aus Glatz kommt eine von sechs kaum bekannten Fotoserien, die deutlich machen, in welchem Ausmaß die Gewalt von einheimischen Tätern, auch in der sog. Provinz ausging und daß sie vor aller Augen stattfand. Die Fotoserien in Glatz steht beispielhaft für das in Brand setzen der Synagogen im deutschen Reich. Eine andere Fotoserie wird über Guntersblum gezeigt, wo die jüdische Einwohner durch den Ort getrieben wurden.
Die Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt der Stiftungen Denkmal für die ermordeten Juden Europas und des Dokumentationsszentrums Topographie des Terrors. Sie ist zu sehen vom 7. November 2018 bis 3. März 2019, täglich 10.00 bis 20.00 Uhr, im Dokumentationszentrum Topographie des Terrors in Berlin-Kreuzberg. Niederkirchnerstraße 8. Der Eintritt ist frei.
In der Ausstellung sind Fotos zu sehen, die niemand kalt lassen.
In einem Brief schreibt Margarethe May über die Plünderung ihres Geschäfts. Ihr gelingt 1939 nur noch die Flucht nach Shanghai; der Weg nach Amerika war schon verschlossen. Das Geld für die hohe Reichsfluchtsteuer brachte sie mit den Mitteln aus dem Zwangsverkauf des Geschäftes gerade noch auf. Ab 1947 lebte sie dann in Amerika und starb 1975.
2016 wurde im Grafschafter Boten nach Zeitzeugen des Synagogenbrandes gesucht. Es meldeten sich telefonisch und schriftlich ca. sieben damalige Schülerinnen und Schüler und berichteten sehr genau, wie in ihren Klassen die Vorgänge erlebt und von Lehrern sehr unterschiedlich kommentiert wurden.
Eine damalige Schülerin der Katholischen Mädchenschule berichtete, wie sie aus dem Klassenzimmer das plötzliche Aufsteigen von Rauch über der Synagoge sahen. Die Nonne unterbrach für kurze Zeit den Unterricht und kommentierte das Geschehen: „Müssen die das jetzt auch noch machen.“ Ein Mädchen brach in Tränen aus. Es war die Mitschülerin Ruth. Erst durch das Weinen erfuhr die Klasse, daß sie jüdischer Religion war. Die Nonne entließ sie nach Hause. Die Schülerinnen sahen sie nie mehr wieder. Für Ruth begann sofort die Flucht aus Deutschland, erst nach England, später lebte sie in Chile und heute in Israel.

Ausstellung: „Kristallnacht“ - Antijüdischer Terror 1938. Ereignisse und Erinnerung
Dauer der Ausstellung: 7. November 2018 bis 3. März 2019, täglich 10.00 bis 20.00 Uhr, Eintritt frei
Ausstellungsort: Dokumentationszentrum Topographie des Terrors, Niederkirchnerstraße 8, 10963 Berlin-Kreuzberg, Internet: extern www.topographie.de
 

Der brennende Turm der Synagoge von Glatz
Der brennende Turm der Synagoge von Glatz, heute Kłodzko. Er wird am 10. November mit Benzin extra in Brand gesetzt, weil er am Tag zuvor nicht mit abgebrannt war.

Innenraum der zerstörten Synagoge
Innenraum der zerstörten Synagoge

Der Ausweis von Margarethe May
Der Ausweis von Margarethe May, Inhaberin des Hutgeschäftes Lewy, Brückentorstr. 1, wird in der Ausstellung gezeigt.

 

Text- und Bildzusammenstellung: Rembert Boese, 69493 Hirschberg a. d. Bergstraße.
Die Texte sind zum Teil, die Fotos sind alle dem Katalog zur Ausstellung mit Genehmigung der Presseabteilung entnommen. Die Fotos der brennenden Synagoge stammen vom Glatzer Drogerielehrling und HJ-Mitglied Günter Veit, deren Bildrechte liegen bei dem Darmstädter Künstler Gerhard Roese.

Dieser Bericht ist auch im „Grafschafter Boten“ 12/2018 erschienen.


Ausstellung zum antijüdischen Terror 1938

Mit der „Kristallnacht“ am 9. November 1938 begann die systematische Verfolgung der Juden in Deutschland. Synagogen wurden angezündet, Geschäfte geplündert, jüdische Bürger verfolgt und Zehntausende deportiert. Rund hundert Menschen wurden ermordet. Zum 80. Jahrestag zeichnet die Ausstellung „Kristallnacht“ in Berlin den antijüdischen Terror vom November 1938 nach und porträtiert Opfer, aber auch Täter. Am Beispiel von Orten wie Guntersblum (Rheinland-Pfalz), Berlin, Hof (Bayern) Brühl (Nordrhein-Westfalen) oder auch Glatz gibt die Schau im NS-Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors“ einen Überblick über die Vernichtung jüdischen Lebens. Die Ausstellung kann noch bis 3. März 2019 besichtigt werden.

Mit dem Ausstellungstitel „Kristallnacht“ wolle die Schau eine Diskussion über das Erinnern anstoßen, sagte Andreas Nachama, Direktor des Dokumentationszentrums, bei der Eröffnung am 6. November 2018. Der bis heute benutzte Begriff „Novemberpogrome“ sei irreführend. Das Wort Pogrome, das betonte auch Kurator Ulrich Baumann, beziehe sich historisch auf spontane Gewaltausbrüche in Osteuropa im 19. Jahrhundert. Die „Kristallnacht“ sei dagegen von oben angeordnet und von den Nationalsozialisten als Ausdruck des „Volkszorns“ nach dem Attentat auf einen deutschen Diplomaten in Paris durch einen Juden gezielt in Gang gesetzt und gesteuert worden. Erst 1978 habe die Erinnerung an den Novemberterror in einer größeren Öffentlichkeit Anklang gefunden. „Die Zeit war dafür reif“, sagte Baumann – auch durch die TV-Ausstrahlung der US-Serie „Holocaust“. In der DDR sei damals die Zahl der Gedenktage auch sprunghaft gestiegen.

Eckard Schindler besuchte die Ausstellung „Kristallnacht“ mit seinem Vater.
Eckard Schindler besuchte die Ausstellung „Kristallnacht“ mit seinem Vater.
(Foto: Reinhard Schindler)

Im Katalog zur Ausstellung ist über Glatz zu lesen: „Der genaue Verlauf des Novemberterrors im schlesischen Glatz lässt sich nur in Umrissen nachzeichnen. Die Stadt gehört seit 1945 zu Polen. Ihre deutsche Bevölkerung verstreut sich nach der Vertreibung auf viele Orte auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik und der DDR. Nationalsozialistische Täter werden offenbar nicht angezeigt. Deutsche Justizverfahren sind nicht nachzuweisen. Zeitzeugenberichte und eine Fotoserie zeigen jedoch auf, dass die Synagoge am Vormittag des 10. November 1938 unter den Augen Schaulustiger angezündet wird und niederbrennt. Möglicherweise war bereits in der Nacht ein erstes Feuer gelegt worden.

Angriffe richten sich auch gegen Geschäfte. Jüdische Männer werden verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Acht Häftlinge aus Glatz konnten bislang in einer Namensliste des dortigen Sonderlagers identifiziert werden.“

Synagoge in Glatz um 1910

Die brennende Synagoge in Glatz am 10. November 1938

Die Synagoge in Glatz um 1910 und am 10. November 1938 (Fotos: Archiv)

Vom Brand der Synagoge Grüne/Ecke Wallstraße existieren zahlreiche Fotos, die der damalige Drogerielehrling Günter Veit (1920-1974), dessen Ausbildungsbetrieb in der Grünen Straße 12 schräg gegenüber der Synagoge lag, aufgenommen hat. Veit fotografierte aber nicht nur die brennende Synagoge, sondern unter anderem auch eine Menschenmenge am Brücktorberg vor dem Hutgeschäft. Im Jahr 2013 erhielt der Bildhauer, Kunsthistoriker und Architektur-Modellbauer Gerhard Roese aus Darmstadt die Fotos aus dem Nachlass. Anhand der Bilder fertigte er eine Aluminiumskulptur der Glatzer Synagoge an. Neben seinen Bemühungen um die virtuelle Rekonstruktion engagiere er sich nun auch um die Freilegung baulicher Spuren am Ort, heißt im Katalog zur Ausstellung „Kristallnacht“.

Gedenkstein am Ort der zerstörten Glatzer Synagoge
Gedenkstein am Ort der zerstörten Glatzer Synagoge (Foto: Jacek Halicki)

Und noch mehr lesen wir dort unter dem Begriff Erinnerung: „1994 veröffentlicht der polnische Journalist Edward Osowski in der Zeitung Ziemia Kłodzka (Glatzer Heimat) einen Artikel über den Novemberterror 1938 in der Stadt; er enthält die Formulierung: ‚Von der Kristallnacht schweigen die deutschen Chronisten im Glatzer Land.‘ Während der ‚Glatzer Bote‘ den Vorwurf zurückweist und um Unterstützung polnischer Behörden bei der historischen Aufklärung bittet, entwickelt ein ehemaliger Glatzer, Reinhard Schindler, die Idee, einen Gedenkstein für die Synagoge setzen zu lassen. Mittels Spenden kann der Plan 1995 verwirklicht werden.“

Am 10. November 1995 enthüllten Initiator Reinhard Schindler und die jüdische Emigrantin Ruth Lewin gemeinsam den Gedenkstein für die ehemalige Synagoge in Glatz. Verantwortlich zeichnen laut Inschrift „Ehemalige deutsche und heutige polnische Bewohner“.

S. Loewy / N. v. Amsberg

 
Dieser Bericht ist auch im „Rundbrief des Großdechanten“ 3/2018 erschienen.

 

 

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© 2018 by Dipl.-Ing. Christian Drescher, Wendeburg-Zweidorf, Kontakt: Feedback-Formular.
Erste Version vom 01.12.2018, letzte Aktualisierung am 25.12.2018.